1. Projekttreffen in Falticeni, 2. bis 8.November 2006   

Rumänien auf dem Weg nach Europa – Eindrücke der ersten Stunden

Überwältigende Gastfreundschaft beim Besuch unserer Partnerschule in Falticeni

Rumänien beginnt eigentlich schon an Bord des Flugzeugs der TAROM, die uns von München nach Bukarest bringt. Deutsch wird hier nicht mehr gesprochen, nur noch Englisch und Rumänisch. Aber die Flugbegleiterin weiß, dass die Semmeln beim angebotenen Essen immer ein bisschen trocken sind und dass man deshalb lieber eine von den frischen nimmt. Diesen Tipp verstehen wir ohne Sprachkenntnis. Rumänisch ist sehr wohlklingend. Aber ich verstehe auf Anhieb fast gar nichts, obwohl es eine mit Italienisch und Französisch verwandte Sprache ist. - Von Bukarest geht es in einem kleinen Flugzeug weiter nach Suceava, mit kurzer Zwischenlandung in Bacau: Leute raus, andere rein, nach zehn Minuten weiter, wie beim Busfahren. Bei nur noch neun Fluggästen müsste sich eigentlich herausfinden lassen, wer noch zum COMENIUS-Treffen nach Falticeni will. Aha, hier, in der gleichen Sitzreihe sind Sandra und Bethan, die Lehrerinnen  aus Cardiff, wie sich herausstellt. Was ist mit den anderen?

Wir kommen um dreiviertel elf abends am Flughafen in Suceava an. Auf der Reise mussten wir unsere Uhr eine Stunde vorstellen. Nach kurzer Wartezeit fährt unser Empfangskomitee vor: Dan, unser Koordinator, den wir schon von den E-Mails kennen, Aurora, die Schulleiterin, Speranza, die uns in den folgenden Tagen immer wieder mit ihrer Übersetzungen von Rumänisch nach Englisch und wieder zurück aus der Patsche helfen wird. Außerdem noch Valentin, der die gute Seele der Schule in Falticeni ist, wie sich später herausstellen wird. Zwei Autos nehmen Gepäck und uns vier Reisende auf.

Leider ist aus Guadeloupe und aus Italien niemand da. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Schulen dort, ebenso wie die Schule in Falticeni, noch kein Geld von ihren nationalen Agenturen bekommen hatten und die Reise nicht aus eigener Tasche finanzieren konnten. - Unser Zielort Falticeni liegt knapp vierzig Kilometer vom Flughafen in Suceava entfernt. Die Buckelpiste zum Flughafen wird bald zur ordentlichen Straße und die Fahrt durch’s nächtliche Suceava hinterlässt einen ersten Eindruck: Der Ceaucescu-Kommunismus hat seine Spuren hinterlassen und viele Fassaden bröckeln noch vor sich hin. Aber das sieht auf den ersten Blick nicht sehr viel anders als in manchen südeuropäischen Ländern. Die großen Automarken haben schicke Verkaufshäuser an der Ausfallstraße und METRO ist auch schon da, wie unser Chauffeur Valentin nicht ohne Stolz zeigt. Die Kommunikation gelingt mehr oder weniger auf Französisch.

Wir kommen zu unserer Pension „IRISTAR“. Hier beziehen wir unsere gemütlichen und warmen Zimmer. Das Bier an der Bar heißt „Skol“, ist sehr preiswert und schmeckt. Das Haus macht einen guten Eindruck, und der bleibt auch in den folgenden Tagen so. Das erste Frühstück ist so reichlich, dass es für uns vier ganz unmöglich ist, all die guten Sachen zu essen. Es gibt Speck und Würstchen und Käse und… und… und knackige Gurken. Wir werden in den folgenden Tagen feststellen, dass alles gut schmeckt, was wir in unserer Unterkunft zu essen bekommen oder nach Karte bestellen! Dan leistet uns beim Frühstücken Gesellschaft.

Obwohl die Schule in Fußgänger-Entfernung liegt, werden wir an diesem Morgen, ebenso wie an den folgenden, gefahren. Dan und Valentin bringen uns zur „Scuola No. 6 Ioan Ciurea“. Die Schule liegt in einer Siedlung die hauptsächlich aus Wohnblöcken besteht. Früher war hier ein „gutes“ Viertel. Die Wohnungen waren relativ modern und die Menschen arbeiteten in der Textilfabrik. Seit es die nicht mehr gibt, ist das Leben schwieriger für sie geworden.

Was für ein Empfang! An der Tür begrüßen uns ein Junge mit einem riesigen geflochtenen Brotkranz und ein Mädchen mit einem Tonkrug mit Salz, beide in Tracht.  Es ist fast schade, aus dem wunderschönen Gebäck ein Stück heraus zu brechen und in das Salz einzutauchen. Wir betreten das Lehrerzimmer und sind erneut überrascht: So viel Aufhebens um uns vier Gäste! Das gesamte Kollegium ist versammelt! Jeder stellt sich kurz vor und wir werden gebeten, uns und unsere Schulen kurz zu präsentieren. Wer unterdessen auf die Schüler aufpasst – wir wissen es nicht. Erstaunlich, wie hier das gesamte Kollegium voll hinter COMENIUS steht!

 Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass uns ab jetzt eine Überraschung nach der anderen erwartet… Wir werden durch Kindergarten und Vorschule geführt und von einem sechsjährigen Dreikäsehoch auf Englisch begrüßt. Er muss auf Geheiß der Erwachsenen auch noch beweisen, dass er in dieser Sprache bis zehn zählen kann – eine große Show! Er wird später auch noch ein ganzes Lied mit Mikrofon singen. Überall im Schulhaus haben wir den Eindruck, dass man mit wenig Mitteln viel erreicht hat, um die Räume gemütlich zu machen. Wir sehen gestaltete Wände und viele Pflanzen.

Im Klassenzimmer einer achten Klasse können wir etwas Unterricht in Elektrotechnik verfolgen: Die Schulbänke sind fest verschraubt und zur Tafel ausgerichtet. Schülerinnen und Schüler haben die Aufgabe, das wiederzugeben, was an die Tafel geschrieben wurde. Diejenigen, die aufgerufen werden, springen auf und stehen stramm, bevor sie ihre Antwort geben. Bei aller Fragwürdigkeit eines solchen Unterricht aus Montessori-Perspektive ist sichtbar: Auch schwächere Schüler kommen hier rasch zu Erfolgserlebnissen und haben das Gefühl, etwas von der Stunde nach Hause zu nehmen.

In einem weiteren Klassenzimmer sitzen Grundschüler vor Bastelarbeiten: Klebebildern, Stickarbeiten und vielem mehr. Ob es alle ihre eigenen sind, wir wissen es nicht immer. Eine kleine Musikkapelle aus Lehrern steht bereit, die Kinder stehen auf und singen ein paar Volkslieder. Im nächsten  Zimmer erwartet uns ein „Lebendes Museum“.

Die Schule hat die Familien um alte Gerätschaften gebeten, hat mit viel Fleiß Handwerksgeräte zusammengetragen und kann nun hier alte Handwerkstraditionen zeigen. Das reicht vom Wollefärben über das Spinnen bis hin zum Weben. Klein  und Groß zeigen, wie es jeweils geht. Es gibt alte Keramikgefäße, alte Holzlöffel und alte Bügeleisen. Auch einzelne Teile der Tracht mit ihren schönen Blumenstickereien sind zu bewundern, und wir bekommen alles genau erklärt. Ein Chor aus Schülerinnen singt uns traditionelle Weisen vor. Alle sind in Tracht. Es ist erstaunlich, mit welcher Inbrunst vor allem die Mädchen hier singen! Das ist richtig laut!

Anschließend werden die Sängerinnen zu Tänzerinnen; Jungen und Mädchen in Tracht zeigen Volkstänze, zur Musik von Trommel, Akkordeon und Violine. Jetzt wird es stürmisch: Wilde Tiere treten auf! Erst der Bär, der zu einem Sprechgesang ungestüm in der Runde tanzt, in Felle gekleidet. In der zweiten Vorstellung erscheinen Ziegen; Schüler stecken unter den hölzernen Köpfen. Diese eindrucksvollen Vorstellungen werden von den Kindern sonst erst zu Neujahr gegeben, wenn sie damit von Haus zu Haus ziehen und Gaben erbitten. Das Eintauchen in die Kultur Falticenis geht nachmittags weiter, als wir im Zimmer der Schulleiterin CDs und DVDs zu sehen bekommen, die es über den Ort und seine Institutionen gibt. Die Rumänen sind zukunftsorientiert und die neuen Medien spielen eine entscheidende Rolle. Die Darstellung unserer Schule, die wir per Internet geschickt hatten, fanden wir übrigens gleich im Foyer in einem großen Bilderrahmen, mit einem Deutschland-Wimpel. Allein die Eindrücke der ersten Stunden unseres Aufenthaltes zeigen, mit wie viel Liebe die rumänischen Kollegen unseren Aufenthalt geplant hatten. Es fehlte an gar nichts: Tagungsmappen und Namensschilder waren ebenso vorhanden wie Evaluationsbögen und Abschlusszertifikate.

Unser Programm umfasste neben der Arbeit an unserem Projekt einen „Intensivkurs Rumänische Kunst und Kultur“: Es gab einen Besuch im Irimescu-Museum Falticeni, wo wir sogar Gelegenheit hatten, die Privaträume des Künstlers zu besichtigen, einen Besuch im Wassermuseum, begründet vom Ozeanologen Bacescu; einen Besuch des Heimatmuseums, des Geschichtsmuseums und der Burg in Suceava; ein Gespräch im Schulamt des Bezirks Suceava, Besuche des Volkskundemuseums in Radauti und der Klöster Sucevita und Moldovita; es gab  einen Empfang im Rathaus von Falticeni, eine Besichtigungs- und Einkaufstour in der Stadt und ein wahrhaft fürstliches Diner mit Live-Musik und Tanz am letzten Abend. Für unsere Exkursionen nach Suceava, Radauti und zu den Klöstern war zwei Tage lang extra ein Kleinbus gechartert worden. Die Verpflegung war immer ausgezeichnet bis exquisit und manchmal einfach viel zu reichlich.

Der Hauptplatz von Falticeni mit der Kopie der Berliner Weltzeituhr


Es war unbeschreiblich, mit welcher Gastfreundschaft wir aufgenommen wurden! Ob Valentin uns noch schnell aus seinem Obstgarten eine riesige Tüte Äpfel holte, ob im Museum noch jeder einen Museumsführer bekam oder ob alle Gäste im Kloster Sucevita noch eine kleine Ikone mitnehmen durften: Die Herzlichkeit der Kollegen unserer Partnerschule war immer wieder überwältigend! Ein riesiges Dankeschön nach Falticeni!


Bernhard Apel

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